Ignacy Jan Paderewski – musiker, pole, patriot

Es gibt nur wenige Städte in Polen, die genauso wie Posen Ignacy Jan Paderewski, einen der hervorragendsten polnischen Musiker und gleichermaßen einen großen Befürworter der polnischen Sache während des ersten Weltkrieges sowie einen edelmütigen Menschen unvergesslich machen würden. Tatsächlich war der Musiker mit der Hauptstadt von Großpolen besonders verbunden, insbesondere in der Zeit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit, und dann gab es auch Gelegenheiten, sich mit dem Meister zu treffen. Also: Wer war er?

Er ist am 18. November 1860 in Kuryłówka in Podolien, in einer nicht allzu reichen Gutbesitzerfamilie geboren. Als musisch begabter Junge besuchte er in den Jahren 1872-1878 das Institut für Musik in Warschau, wo er sein pianistisches Talent zeigte und sich gleichzeitig als hochmütige Person, die immer ihre eigene Meinung hatte, zu erkennen gab. Nach dem Abschluss der Schule mit Auszeichnung nahm er im Institut eine Arbeitsstelle des Klavierlehrers an. Seine sich gut anlassende pädagogische Karriere wurde durch persönliches Drama unterbrochen. Im Jahre 1881 wurde Paderewski Witwer und blieb allein mit einem kleinen behinderten Sohn. Seit dieser Zeit beschloss er, sich mit Privatmusikstunden, und vor allem mit Konzerten zu unterhalten.

Bald wurde er zu einem der berühmtesten Klavierspieler auf dem Gebiet Polens und in ganz Europa. Intelligent, scharfsinnig, gut aussehend, gesellig, war Ignacy Jan Paderewski eine Zierde der Konzertsaale, Salons, ein Publikumsliebling. Gleichzeitig vervollkommnte er seine musikalische Technik, u.a. in Berlin und in Wien bei Teodor Leszetycki; er freundete sich mit Kamil Saint Saëns an. 1891 startete er seine triumphale künstlerische Reise durch die Vereinigten Staaten, auf Einladung des Klavierproduzenten, William Steinway, mit der Unterstützung der weltberühmten polnischen Schauspielerin, Helena Modrzejewska.

Gleichzeitig komponierte der Musiker viel. Er war der Autor u.a. der Oper udt. „Manru“, mit dem Libretto, das auf den Roman von Józef Ignacy Kraszewski „Die Hütte hinter dem Dorf“ (1893-1901) gestützt war, des Klavierkonzertes (1882-1889), zahlreicher Lieder und Musikminiaturen, der sehr berühmten Polnischen Fantasie (1891-1893). Seine Musikstücke, die sehr polnisch sind und deren Thematik sich auf polnische Ostgebiete bezieht, waren nicht immer durch Ausländer gut verstanden. Nach einer nicht besonders wohlwollenden Annahme der h-Moll Symphonie (1903-1909, die sich auf die Dramatik und das Heldentum des Januaraufstands bezieht) beschloss der Musiker, seine kompositorische Tätigkeit zu unterbrechen und sich auf Konzerte zu konzentrieren. Er gab Konzerte bis zum Ende seines Lebens.

1899 heiratete er Helena von Rosen Górska und seitdem widmete er immer mehr Zeit den gesellschaftlichen Sachen und der Politik. Infolge seiner großen Konzertaktivität, charakteristischen Haltung sowie riesigen Popularität war er nicht nur ein Patriot, sondern auch ein Weltbürger. Er ließ in der Schweiz nieder, und zwar in der Liegenschaft Riond Bosson bei Morges; eine Zeit lang hatte er seine eigene Ranch in den Vereinigten Staaten, und seit dem Jahre 1897 – auch ein Landgut in Kąśna Dolna bei Tarnów.

Die Zeit vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges war für Paderewski die Zeit eines aktiven Propagierens der polnischen Sache, internationaler Kontakte mit den wichtigsten Politikern, die mit der künftigen Entente verbunden waren, vor allem mit den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich. Durch Präsidenten und Premierminister war er mit Achtung aufgenommen. Zwar konnte er für die Unabhängigkeit Polens nur wenig tun, er erinnerte aber an seinen Staat und Leid, das seiner Heimat durch ihre Nachbarländer zugefügt wurde. Im Juli 1910 wurde in Krakau das Grunwalder Denkmal, das von Ignacy J. Paderewski gestiftet wurde, feierlich enthüllt. Seit dieser Zeit bestimmte sich der Musiker politisch, er arbeitete auch an einer Denkschrift über die polnische Sache, die dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, Thomas W. Wilson, vorgestellt wurde. Als Mitglied des Generalkomitees für Hilfe für die Opfer des Krieges in Polen engagierte er sich auch seit 1915 für wohltätige Tätigkeit.

Am Ende 1918 verband sich Ignacy Jan Paderewski äußerst stark mit Großpolen. In Posen gab der Musiker Konzerte am 13. und 15. Februar 1890, u.a. im Polnischen Theater, und am 29. November 1901 gab er ein Klavierrecital im (nicht mehr bestehenden) Lambert-Saal, in Piekary, und – wie immer – weckte er einen riesigen Enthusiasmus unter dem Publikum. Diesmal aber spielte er eine andere Rolle. Das seit dem November 1918 wieder souverän werdende Polen war zwar ein Staat ohne Grenzen, er hatte aber ein bestehendes politisches System, eine Regierung, Botschafter. Der sich in Warschau entwickelnde Kampf unter politischen Parteien hatte es zu Folge, dass es eine Notwendigkeit bestand, ins Spiel eine neue Person einzuführen, und zwar – einen Politiker, der bisher mit keiner politischen Partei verbunden war, Ansehen und Achtung genoss, der in keine politischen Streitereien involviert wäre. Ignacy Jan Paderewski eignete sich dafür ausgezeichnet. Bald machte sich der Musiker auf den Weg nach Polen.

Am Abend des 26. Dezember 1918 kam er gemeinsam mit Offizieren der Koalitionsvertretung in Posen an, um diplomatische Gespräche über die Zukunft Großpolens im Rahmen des wiederentstandenen polnischen Staats durchzuführen. Schon während der Vorbereitungen hatte der Besuch des Musikers den Anstieg patriotischer Stimmungen in der Stadt zur Folge; aus Furcht um die Sicherheit von Paderewski versetzten die Polen lokale und einheimische Abteilungen des Volksverbandes in Bereitschaftszustand. Den Deutschen gelang es nicht, den Musiker den Aufenthalt in der Hauptstadt von Großpolen zu entmutigen. Dann fingen sie an, formelle Hindernisse in den Weg zu stellen; sie schalteten Straßenbeleuchtung aus. Trotzdem kam es jedoch zum massenhaften, demonstrativen Begrüßung des Meisters, der aus einem Fenster des Hotels „Bazar“ eine Begrüßungsrede hielt und sich für den herzlichen Empfang bedankte. Er befand sich in einer peinlichen Situation, weil er mit den unkontrollierten Begebenheiten in Posen nicht verbunden werden sollte. Trotz der inneren Akzeptanz für die Haltung der polnischen Bevölkerung musste Paderewski diplomatisch vorgehen. Er trat schon als Vertreter der Warschauer Regierung auf und falls eventuelle Unruhen in Großpolen mit ihm verbunden worden wären, könnte die polnische Sache auf der Pariser Friedenskonferenz in eine missliche Lage geraten. Der Musiker beschloss also, sich einer „Täuschungsmanövers“ zu bedienen: einer diplomatischen Krankheit. Seit dieser Zeit zeigte er sich in aller Öffentlichkeit außerhalb des Hotels nicht. Am nächsten Tag, den 27. Dezember 1918 gegen den Mittag, fand vor dem Hotel „Bazar” ein Zug von einigen Tausend Kindern, die Paderewski ihre Ehrerbietung erwiesen, statt; der Musiker empfang nur ihre Delegation, indem er im Bett lag. Am Nachmittag veranstalteten die Deutschen ihre Manifestation, die die Demonstration von Polen, die am Abend des vorigen Tages stattfand, in den Schatten stellen sollte. Dann kam es vor dem „Bazar“ zufällig zu einem Kampf, der sich auf die ganze Stadt und Region ausbreitete. Es fing der siegreiche Posener Aufstand an. Seit dieser Zeit wird Paderewski ständig mit diesem Ereignis verbunden, und die Bevölkerung von Großpolen hielt den Musiker fast für ihren geistigen Vater, einen Menschen, der ihnen einen Impuls zum Kampf gab. Obwohl sich Paderewski damit völlig solidarisierte, musste er aber einen diplomatischen Abstand halten – er war darin bis zum Ende seines Lebens konsequent, obwohl er mit Posen mit dem ganzen Herzen verbunden war. Auch aus politischen Gründen.

Zwischen dem 16. Januar und 9. Dezember 1918 nahm Ignacy J. Paderewski die Stellung des Premierministers und des Außenministers der Republik Polen ein. Mit der Zeit kam es heraus, dass das eine schwierige Zeit sowohl für Polen, das erst sein Staatwesen wieder aufbaute, als auch für den Musiker selbst, der nicht immer mit Fraktionskämpfen klarkam, war. Zur gleichen Zeit war er Anfang März in Posen, um mit dem General Józef Dowbor-Muśnicki, dem Oberkommandierenden der Truppen von Großpolen die Sache der Militärhilfe für das kämpfende Lwow zu erledigen. Und am 28. Juni 1919 unterzeichnete er gemeinsam mit Roman Dmowski in Versailles im Namen Polens den Friedensvertrag. Schon als Paderewski vom Amt des Premierministers zurücktrat, kam er am 27. Dezember 1919, zum ersten Jahrestag des Ausbruchs des Posener Aufstands in die Hauptstadt von Großpolen an und wieder war er feierlich begrüßt.

Im Januar 1920 fuhr Ignacy J. Paderewski in die Schweiz, und dann in die Vereinigten Staaten. In Posen war er noch zwischen 21. und 29. November 1924, er gab aber keine Konzerte. Noch im Jahre 1919 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Posen, jetzt bekam er den Ehrendoktortitel der Posener Universität, er traf sich auch mit der Jugend aus dem Paderewski-Gymnasium. Das war der letzte Besuch des Musikers in Posen. Im Jahre 1931 stiftete er für die Hauptstadt von Großpolen ein Denkmal des Präsidenten von den Vereinigten Staaten, Thomas W. Wilson.

In der Zwischenkriegszeit besuchte Paderewski Polen oft, aber nach dem Maiputsch des Marschalls Józef Piłsudski (1926) wurde er zu einem entschlossenen Gegner der Sanacja-Herrschaft. Nach dem Tod von Józef Piłsudski stand er an der Spitze der in der Schweiz gegründeten Front von Morges, die führende Politiker der polnischen Opposition versammelte.

Der Ausbruch des zweiten Weltkrieges und die Niederlage Polens im Polenfeldzug waren ein schwerer Schlag für den hochbetagten, verwitweten (1934) Musiker – sie brachen ihn aber nicht. Im Dezember 1939 stand er an der Spitze des Nationalrates der Republik Polen, der in Paris eine Rolle des Sejms spielte. Genauso wie vor zwanzig Jahren gab er Konzerte, verwendete sich für die polnische Sache. Er starb infolge einer Erkältung am 29. Juni 1941 in New York. Der Sarg mit den sterblichen Überreste des Musikers ruhte Jahre lang auf dem Nationalfriedhof in Arlington bei Washington, wo er eine Rückkehr nach dem souveränen Polen erwartete. Im Sommer 1992 ging der Wunsch des Musikers in Erfüllung: Der Sarg wurde im Kellergeschoss der Kathedrale Saint-Jean in Warschau beigesetzt. Unterwegs wurde am 2. Juli in Posen der Weg vom 26. Dezember 1918 rekonstruiert. Das Herz von Ignacy Jan Paderewski ruhte bis zum 1959 in New York auf dem Cypress Hill Cementery in Queens, heutzutage befindet sich es aber in „Tschenstochau von Amerika“, in Doylestown.

Ignacy Jan Paderewski erhielt die höchsten Auszeichnungen sowohl in Polen, als auch im Ausland, sowie Ehrendoktorwürden vieler Universitäten. In Posen ist er vor allem mit dem Posener Aufstand (1918-1919) assoziiert; er wurde zum Patron der Musikakademie, der allgemeinbildenden Oberschule Nr. 6 sowie einer Straße, die den Marktplatz mit dem Friedensplatz verbindet. Die Hauptstadt von Großpolen ist eine polnische Stadt, die dem Musiker Ehrerbietung besonders zeigt.

Seit Jahren gibt es in Posen eine besondere Tradition der Inszenierung der historischen Ankunft des Meisters am Abend des 26. Dezember. An den Bahnsteig des Kaiserbahnhofs kommt mit einem stilisierten Zug ein als Paderewski kostümierter Schauspieler, der die versammelte Bevölkerung von Posen begrüßt; dann findet ein Chorkonzert der patriotischen Lieder statt.

Ignacy Jan Paderewski gehört zum Kreis der führenden polnischen Persönlichkeiten; er war ein Musiker, Patriot, politischer und wohltätiger Aktivist, edelmütiger und treuer Mensch, der ein ewiges Gedächtnis verdient.

Marek Rezler